Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina haben ein gemeinsames Positionspapier veröffentlicht, in dem sie eine evidenzbasierte Novellierung des europäischen Gentechnikrechts fordern. Dieser Beitrag soll einen wissenschaftsbasierten Umgang mit der Thematik ermöglichen und eine fundierte Grundlage für Entscheidungen im Bereich der Gentechnik schaffen.
EU-Kommission überarbeitet Gentechnikrecht: Neue Züchtungstechniken für nachhaltigere Landwirtschaft im Fokus
Die Bewältigung der Klima-, Biodiversitäts- und Ernährungskrise erfordert vielfältige Lösungsansätze, darunter die Umstellung der Landwirtschaft auf umweltfreundlichere und klimaresiliente Praktiken. Moderne Züchtungstechniken wie CRISPR/Cas und andere Genomeditierungstechniken bieten ein enormes Potenzial, um Pflanzen und Nutztiere auf ressourcenschonende Weise zu verbessern. Durch die gezielte Veränderung von Genen können beispielsweise Pflanzen entwickelt werden, die effizienter Wasser nutzen, widerstandsfähiger gegen Schädlinge und Krankheiten sind oder sich besser an veränderte Klimabedingungen anpassen können. Dies könnte dazu beitragen, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Düngemitteln zu reduzieren und die Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten.
Die Europäische Kommission arbeitet derzeit an einer Überarbeitung des europäischen Gentechnikrechts im Hinblick auf neue molekularbiologische Züchtungstechniken und die daraus resultierenden Pflanzen und Produkte. Das Hauptziel dieser Überarbeitung ist es, eine nachhaltigere Nahrungsmittelproduktion zu fördern und die Ziele des Green Deals und der Farm-to-Fork-Strategie der EU umzusetzen, um so auch die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu verwirklichen.
Angesichts des bevorstehenden Gesetzentwurfs Mitte des Jahres 2023 rufen die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina die Politik dazu auf, Entscheidungen auf wissenschaftlicher Grundlage zu treffen. Die Bedeutung von fundiertem Wissen in politischen Entscheidungsprozessen wird betont, um die bestmöglichen Ergebnisse für die Gesellschaft zu erzielen. Die DFG und die Leopoldina appellieren an die Politik, die Expertise von Wissenschaftlern und Forschern in die Gesetzesreform einzubeziehen und wissensbasierte Entscheidungen zu treffen.
Professor Dr. Gerald Haug, Präsident der Leopoldina und ETHZ-Professor, betont, dass angesichts des Klimawandels eine nachhaltige Landwirtschaft ein breites Spektrum an Methoden erfordert. Dabei stellt er heraus, dass die Genomeditierung als präzises Instrument in der Züchtungsforschung nicht pauschal bewertet werden sollte. Es sei wichtig, die Potenziale und Risiken neuer Pflanzensorten produktbasiert einzuschätzen, um eine nachhaltige Landwirtschaft zu fördern.
Als Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) betont Professorin Dr. Katja Becker, dass neue molekulare Züchtungstechniken eine bisher nie dagewesene Präzision und Effizienz bei der Verbesserung von Nutzpflanzen ermöglichen. Sie sieht ein enormes Potenzial, diese Techniken zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele zu nutzen. Um dies erfolgreich in Europa umzusetzen, plädiert sie für eine neue evidenzbasierte Regelungspraxis, die sowohl die Chancen als auch die Risiken dieser Techniken berücksichtigt und von den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte lernt.
Die rechtliche Regulierung von neuen Züchtungstechniken für Pflanzen in der Europäischen Union wird derzeit intensiv diskutiert, sowohl auf der „Internationalen Grünen Woche Berlin“, die ab dem 20. Januar stattfindet, als auch beim Treffen der Agrarministerinnen und -minister beim „Global Forum for Food and Agriculture 2023“ in Berlin am 21. Januar. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina haben zu diesem Thema bereits mehrere Publikationen veröffentlicht, darunter eine gerade erst veröffentlichte Positionierung sowie eine Stellungnahme von 2019, die nach wie vor gültig ist und als wissenschaftliche Politikberatung dient.
Im Jahr 2019 veröffentlichten die Leopoldina, die DFG und die Union der Akademien der Wissenschaften eine Stellungnahme mit dem Titel „Wege zu einer wissenschaftlich begründeten, differenzierten Regulierung genomeditierter Pflanzen in der EU“. Diese Stellungnahme wurde hauptsächlich aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs aus dem Juli 2018 verfasst, nach dem alle durch Genomeditierung veränderten Organismen den rechtlichen Regelungen für genetisch veränderte Organismen unterliegen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betonten in ihrer Stellungnahme, dass Produkte, die durch neue Züchtungstechniken hergestellt werden und keine dauerhafte Einbringung von fremdem Genmaterial erfordern, nicht von Produkten herkömmlicher Züchtung zu unterscheiden sind. Sie argumentierten, dass die Genomeditierung von Pflanzen kein höheres Risiko birgt als herkömmliche, seit Jahrzehnten etablierte und nicht regulierte Techniken.
Angesichts der aktuellen Reform der Regulierungspraxis für neue Züchtungstechniken hat die Ständige Senatskommission für Grundsatzfragen der Genforschung der DFG eine Positionierung mit dem Titel „Für eine zeitgemäße Regulierung der Produkte neuer Züchtungstechniken als Beitrag zur Bewältigung multipler Krisen des 21. Jahrhunderts“ veröffentlicht. Die Positionierung fasst die wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse und Forderungen der Stellungnahme zusammen und betont, dass eine Novelle des europäischen Gentechnikrechts sicherstellen sollte, dass die Sicherheitsbewertung neuer Pflanzen nicht grundsätzlich von der zugrunde liegenden Technologie abhängt, sondern von den Eigenschaften des erzeugten Produkts. Es wird betont, dass ein produktbasierter, fallbezogener Ansatz angemessen ist.
Die Positionierung ließ die Frage nach einer Kennzeichnung von Produkten, die mittels neuer Züchtungstechniken erzeugt werden, unberührt. Dennoch wird betont, dass die Sicherung der Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher ein wichtiges Anliegen ist und auch dann gewährleistet werden kann, wenn Produkte, die aus Genomeditierung hervorgegangen sind, keiner Risikoregulierung gemäß dem Gentechnikrecht mehr unterliegen.
Die restriktive Regulierung von Genomeditierungstechniken in Europa, insbesondere in Deutschland, wird als massive Behinderung für den Forschungsstandort betrachtet. Diese Regulierung führt zu Verzögerungen bei der Entwicklung neuer Technologien zur Sicherung der Welternährung. Freilandexperimente werden zunehmend ins außereuropäische Ausland verlagert, da die Nutzung dieser Techniken durch Züchtungsunternehmen nahezu unmöglich gemacht wird. Dies hat eine abschreckende Wirkung auf Unternehmen und junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in frühen Karrierephasen, die häufig ins Ausland abwandern oder sich sogar für Karrieren außerhalb der Wissenschaft entscheiden.